Montag, 6. Dezember 2010

Menschen in der Passbildklemme (Vorsicht! Ein laaaanger Text!!)

Prolog
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Jeden Tag haben wir mit vielen Passfotokunden zu tun. Dabei hat sich eine kleine Typenkunde herausgestellt.
Doch zuerst will ich kurz erklären, wie's Passbilder machen meistens funktioniert.
Natürlich werden Passfotos inzwischen digital angefertigt. Das heißt, nachdem der Kunde fotografiert wurde, kann er/sie sich das Beste aus 4-5 Fotos heraussuchen.
Sollten alle Bilder schlecht sein (Augen zu, fieses Gesicht), ist es kein Problem neue anzufertigen. Es haben sich aber einige typische Verhaltensweisen gezeigt.

Der/Die Normale
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Setzt sich hin, lächelt auf Anforderung mehr oder weniger gequält bzw. lächelt eben nicht, wird fotografiert, steht auf, sucht sich ein Foto aus, das Bild wird in 3,5x4,5cm oder 4,5x6cm (für Bewerbungen) gedruckt - fertig.

Das Model
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Schon der Auftritt ist bühnenreif. In der Regel kommt sie mit Entourage (meist IST es eine Sie (sorry Mädels)). Fast immer mit zwei Begleiterinnen, die ihre Handtasche, ihr Schminkköfferchen und mindestens zwei Garnituren Klamotten zum wechseln tragen.
Das Fotografieren entwickelt sich beim Model immer zu einem "Shooting", wobei die Freundinnen stets mit Rat und Tat daneben stehen. Natürlich sind die normalen 5 Fotos nie genug.
Nach ausgiebiger Begutachtung der Bilder und ausgedehnter Diskussion mit den Begleiterinnen wird in der Regel beschlossen, dass man mindestens einen weiteren Versuch benötigt um angemessene Fotos zu erhalten.
Übrigens wird häufig doch ein Foto aus der ersten Shooting-Staffel genommen. Models sind nämlich meist schrecklich ungeduldig und hibbeln bei den zweiten Bildern schrecklich rum. Das unterscheidet sie von den echten Models.
Wenn dann DAS Foto gefunden ist, MUSS es natürlich wenigstens im Format 6x9 cm gedruckt werden - auch wenn es nur Bilder für die Fahrkarte sind.

Die/Der Penible
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Verwandt mit dem Model, tritt aber meist nicht in Begleitung auf, sondern kommt alleine. Achtet schon vor dem Foto drauf, dass das Hemd oder die Bluse vollständig faltenfrei bleibt. Schreckt auch vor Extrem-Maßnahmen wie Wäscheklammern am Hosenbund nicht zurück, damit das Outfit in Position bleibt.
Achtet vor dem Ausdruck penibelst auf jede formale Unebenheit. Der Gesichtsausdruck ist den Peniblen meist eher egal. Hauptsache es sieht alles richtig aus.

Das Gruppentier
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Kommt immer im Rudel zum Fototermin. Also mindestens sechs Leute. Bei Jugendlichen meist mit Freundinnen oder Freunden, die natürlich nie, nie, nie lachen sollen, wenn der Delinquent auf dem Stuhl sitzt - die aber natürlich dennoch dauernd kichern und prusten.
Auf die Fotos wird dann nur ein kurzer gemeinsamer Blick geworfen und die Begleitung verschwindet im Off, während die/der Fotografierte mit der Entscheidung allein gelassen wird.
Entscheidungen treffen ist nämlich total uncool.

Die Strahlenden
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Stets fröhlich lächelnd sind sie im Grunde ein Traum für alle Passbildfotografen.
Leider haben die internationalen Behörden (und die Deutschen machen da keine Ausnahme) ihnen da ein kleines Bein gestellt. Meist kommen sie frohgemut herein, lächeln was das Zeug hält und dann müssen wir ihnen beibiegen, dass lächeln auf den meisten Ausweisen inzwischen leider verboten ist. Manche quittieren diese Nachricht mit einem freundlichen Lächeln, aber manchmal gucken die dann so böse...

Der Nörgler
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"Ich bin sowieso nie schön auf Fotos", so wird man fast immer begrüßt, wenn man einen Nörgler vor sich hat.
Der (es sind fast immer Männer) macht dann alles, damit das Foto auch garantiert in die Hose geht. Kopf schief, Grimassen ziehen, Kaugummi kauen, Stirn dauergerunzelt und natürlich fragt er immer eine Zehntelsekunde vor dem auslösen, ob jetzt alles so richtig ist. *Aaaargh*
Lauter hervorragende Ausgangspositionen für ein wirklich misslungenes Gurkenbild. Wenn das Bild erwartet schlecht ausfällt folgt der Standardspruch:
"Sehen Sie, ich hab's ihnen ja gesagt"

Der Business-Man
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Passbilder sind wichtig! Weil er wichtig ist! Auch wenn's nur ein Portrait für die Oma ist, kommt der Business.Man immer wichtiger und meist in geheimer Mission. Wer weiß ob der Kollege nicht gerade nebenan Gemüse kauft und denkt, man würde Bewerbungsfotos machen.
Freundlich und unangestrengt gucken ist die Sache der Business Leute nicht. Ernsthaftigkeit ist Trumpf - und so sehen die Bilder dann auch aus. So ernsthaft trocken, dass sie fast den Drucker vollstauben, wenn sie rauskommen.

Der Technikfeind
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"Wie, sie machen nur noch digitale Fotos? Nicht mehr mit Negativ, oder wenigstens Polaroid?
Na ja wir können's ja mal probieren, obwohl dieser ganze digitale Kraaaaam - das kann ja nichts werden."
Erstaunen macht sich schnell breit, wenn die digitale Knipse genauso aussieht, wie die analogen Spiegelreflexe von damals, "als man noch richtig fotografiert hat".
Noch mehr erstaunt es den Technikfeind, wenn sein Foto knapp eine halbe Minute später auf dem Monitor zu sehen ist. Scharf! - Farbecht! - mit dem richtigen Gesicht!
Und vollkommene Überraschung, wenn das korrekte Passbild nach drei Minuten aus dem Drucker plöckelt.

Kinder mit Eltern
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Meisten macht es wirklich riesigen Spaß Kinder zu fotografieren. Die sind oft völlig unbefangen und wenn man sie bittet in die Kamera zu lächeln, tun sie das auch.
Außer, wenn sie besonders ängstlich oder traurig sind - oder besonders bemühte Eltern dabei haben.

- ängstliche Kinder
Womöglich rückt der böse Mann/die böse Frau wieder mit so einer Pieksenadel an. Da verstecke ich mich doch lieber präventiv in meinem Pulloverärmel.
Die Leute mit dem Ding vor'm Auge können viel erzählen, von wegen: "Das tut auch nicht weh..."
Natürlich tun die Eltern ihr möglichstes, ängstliche Kinder zu beruhigen und machen es oft noch schlimmer. Sie versuchen es mit denselben Mitteln, mit denen es auch beim Arzt schon nicht funktioniert.

- weinende Kinder
Der Alptraum! Nicht zu beruhigende kleine Kinder, die offensichtlich überhaupt keine Lust haben, fotografiert zu werden. Nun muss aber der Kinderausweis für den nächsten Spanienurlaub her. Da wird dann auch schon mal zu erpresserischen Mitteln gegriffen: "Wir kaufen gleich die Barbie-Puppe/den Legokasten, wenn Du ganz kurz lachst." *prust*. Das klappt eher selten. Ein probates Mittel ist, bei nicht völlig verängstigten Kindern, die Eltern mal kurz aus der Sichtweite zu schicken. Oft sind die Kids dann so überrascht, dass sie zu weinen aufhören und Voilá - schon ist das Bild im Kasten.
Das klappt aber leider nicht immer. Zuweilen muss man die Aufnahme auch einfach abbrechen.

- "normale" Kinder mit besonders bemühten Eltern
Ein extremer Fall. Es gibt offenbar Eltern, die sich überhaupt nicht vorstellen können, dass ihre Kinder etwas alleine können und dann noch zusammen mit anderen, wildfremden Menschen.
Also steht die Mutter oder der Vater immer hinter dem Fotografen und macht Grimassen, lacht, ruft irgendwas, kommt wieder vor die Kamera gerannt um irgendetwas zu verändern.
Da hat man dann gerne mal den Rücken des Elternteils auf dem Foto...

Epilog
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Pass/Bewerbungsbilder machen ist ein wirklicher Spaß - vor allem, wenn man hinter der Kamera steht. Mit so vielen unterschiedlichen Charakteren hat man sonst nicht zu tun - und jeder braucht mal ein Passfoto.
Passbildkunden erkennt man auch schon, wenn sie den Laden betreten.
Suchender Blick, unsicheres Lächeln - und wenn sie einen Kleidersack und mehrere Personen Begleitung dabei haben, ist die Sache sowieso klar!

4 Kommentare:

  1. Ich stimme in allen Punkten zu.

    Gruss Thomas

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  2. Ein grandioser Post! :) Vielen Dank dafür.

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  3. Du hast die Kundinen vergessen die so ungefähr 60+ sind und aussehen wollen wie 20......
    "Benutzen Sie einen Weichzeichner?"
    "Machen Sie die Falten noch weg?"
    "So sehe ich aber nicht aus; das Licht macht ja alt!"
    Liebe Grüße
    Judith

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  4. so ist das also aus der anderen perspektive :D
    zum glück waren die meisten fotografen zu mir ganz geduldig, fühle mich nämlich hinter der kamera wohler als davor und war demzufolge noch nie so richtig zufrieden mit meinen passfotos.
    aus kundensicht finde ich es schlimm, wenn man unbedingt (!) mit offenem mund lächeln soll. sieht meistens sehr verkrampft aus. und wenn einem der fotograf ungefragt (!) irgendwelchen puder (wer weiß, wer das kissen vorher schon im gesicht hatte!) ins gesicht klatscht...arg...

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